PM: Forderungen für eine menschenrechtsorientierte Landespolitik

Im Vorfeld der Landtagswahl ruft Amnesty International Sachsen alle Wahlberechtigten auf, mit ihrer Stimme menschenrechtsorientierte Positionen zu stärken und einer spalterischen Politik des “Wir gegen die” eine klare Absage zu erteilen. Amnesty verdeutlicht die dringende Notwendigkeit, einen Konsens der Menschenrechte im Sächsischen Parlament zu verteidigen und wendet sich mit klaren Forderungen an die künftigen Sächsischen Abgeordneten.

Dresden, 18. August 2019 -In exakt zwei Wochen findet die Wahl des siebten Sächsischen Landtags statt und wird tiefgreifende Auswirkungen auf unser Zusammenleben im Freistaat Sachsen mit sich bringen. Befeuert von rechtspopulistischen Scharfmachern und täglicher Hetze auf der Straße sowie in den Sozialen Medien, sind menschenrechtsfeindliche Positionen wieder sagbar geworden und in der Mitte der Bevölkerung angekommen. Amnesty International Sachsen zeigt sich tief besorgt über eine Rhetorik des Hasses und des Rassismus, die beispielsweise nichtdeutschen Personen ihre grundlegenden Menschenrechte vorenthalten möchte oder Politiker_innen, Journalist_innen und zivilgesellschaftlich Engagierte mit Drohungen und Einschüchterungen überzieht. Die Sächsischen Wahlberechtigten haben es in der Hand, zu verhindern, dass derlei menschenrechtsfeindliche Positionen in den Landtag einziehen oder gar in Regierungsverantwortung gelangen. Jeder Wahlberechtigte ist deshalb dazu aufgerufen, mit seiner Stimme eine Politik der Menschenrechte und der Menschenwürde zu stärken! Alle Abgeordneten des kommenden Landtages stehen in der Pflicht , einen Konsens der Menschenrechte gegen eine spalterische Politik des “Wir gegen die” zu verteidigen!

Von der kommenden Landesregierung erwartet Amnesty International Sachsen klare und konkrete Schritte zur Stärkung des Menschenrechtsschutzes in Sachsen:

1. Gesellschaft und Bildung

In Sachsen leben Menschen aus verschiedensten Nationen, mit unterschiedlichsten Religionen, Weltanschauungen oder persönlichen Lebensentwürfen. Sie alle gestalten und prägen unser Bundesland, jedoch sieht sich diese “Gesellschaft der Vielen” zunehmenden rassistischen und antidemokratischen Angriffen ausgesetzt. Die Landespolitik muss ihre Rechte schützen und uneingeschränkt für Teilhabe, Minderheitenschutz und Rechtsstaatlichkeit einstehen. Sie muss klar machen, dass es bei den universellen und unveräußerlichen Menschenrechten keine Kompromisse oder allgemeines In-Abrede-Stellen geben darf. Insbesondere muss sie eine lebendige Zivilgesellschaft fördern und stützen, anstatt diese weiterhin stiefmütterlich als störende Kritiker_innen zu behandeln oder gar als “Nestbeschmutzer” hinzustellen, die lediglich dem guten Ruf Sachsens schaden würden.

Amnesty International hält nichts von einer Rhetorik des “Wir gegen die” oder einem “die einfachen Leute gegen die Eliten”, vielmehr sind wir überzeugt davon, dass Menschen aus allen sozialen Schichten sich für Menschenrechte einsetzen und gemeinsam große Dinge bewegen können. Um eine solche Gesellschaft zu verwirklichen, ist es notwendig, dass wir uns stärker mit unseren impliziten Vorurteilen, Ressentiments und Rassismen auseinandersetzen und diese schrittweise überwinden. Alltagsrassismus und Mechanismen der Ausgrenzung müssen im Unterricht stärker thematisiert werden, ebenso wie ein tieferer Fokus auf die Menschenrechtsbildung: Erst das Wissen um und das Bewusstsein für die Menschenrechte befähigt Menschen dazu, sich aktiv an Entscheidungsprozessen zu beteiligen, die ihr Leben beeinflussen. Seine Rechte kann nur einfordern, wer sie kennt.

2. Flucht und Asyl

In den vergangenen Jahren hat Sachsen etwa fünf Prozent aller in Deutschland ankommenden Asylsuchenden aufgenommen. Auch für sie gelten selbstverständlich die Menschenrechte, sie müssen vor rassistischen Angriffen geschützt werden und selbstbestimmt handeln können. Dazu gehört zunächst, dass sie ein faires und unvoreingenommenes Asylverfahren erhalten, in welchem ihre Fluchtgründe individuell geprüft werden. Dies wird durch das Instrument der sogenannten “Sicheren Herkunftsstaaten” unterlaufen, indem für Angehörige bestimmter Staaten eine Regelvermutung gilt, dass diesen in ihrem Land keine Gefahr droht und ihre Asylanträge daher als “offensichtlich unbegründet” abgelehnt werden. Jedoch hat Amnesty sowohl in den Balkanstaaten, die bereits als “sicher” gelten, als auch in den Maghreb-Staaten, die schon mehrfach als sicher eingestuft werden sollten, schwere Menschenrechtsverletzungen dokumentiert. Genau diese individuellen Schicksale finden durch die Kategorisierung als “sicher” keine ausreichende Berücksichtigung mehr. Die kommende Landesregierung muss deshalb weiteren Versuchen, weitere Länder zu “sicheren Herkunftsstaaten” zu erklären, im Bundesrat entgegenwirken.

Um die Rechte und Verfahrensgarantien für Asylsuchende zu schützen, ist es weiterhin notwendig, eine unabhängige Asylverfahrensberatung in Sachsen dauerhaft zu sichern. Nur so können Geflüchtete umfassend und neutral über ihre Rechte und Pflichten aufgeklärt und in die Lage versetzt werden, selbstbestimmt zu handeln. Zu diesen Rechten gehört das sogenannte “Non-Refoulement-Gebot”: Menschen dürfen nicht in Länder zurückgeschickt werden, in denen ihnen schwere Menschenrechtsverletzungen drohen. Aufgrund der anhaltend katastrophalen Menschenrechtssituation in Syrien, Afghanistan, Eritrea und Somalia fordert Amnesty die kommende Landesregierung auf, Abschiebungen in diese Länder auszusetzen. Dies gilt auch für straffällige gewordene Menschen, denn auch für sie gelten die Menschenrechte. Sie müssen in einem fairen Prozess in Deutschland für begangene Taten verurteilt werden.

Zuletzt ist auch Sachsen als einzelnes Bundesland in der Lage und in der Pflicht, sichere und legale Fluchtwege zu schaffen, und so Menschen beispielsweise von lebensgefährlichen Überfahrten über das Mittelmeer abzuhalten. Die kommende Landesregierung sollte dazu einerseits die vorhandenen Resettlement-Plätze erhöhen, um besonders schutzbedürftige Menschen aufzunehmen und ihnen eine Lebensperpektive zu bieten, als auch andererseits ein neues Landesaufnahmeprogramm ins Leben rufen.

3. Wirtschaft und Entwicklungspolitik

Der wirtschaftliche Wohlstand in einem Teil der Welt fußt nur allzu oft darauf, dass in einem anderen Teil der Welt Menschenrechtsverletzungen stattfinden: Indem natürliche Lebensräume nachhaltig geschädigt oder vernichtet werden, Menschen in den Lieferketten ausgebeutet oder gewaltsam von ihrem Land vertrieben werden, um Ölförderung oder Bergbauprojekten Platz zu machen. Wer wirksam Fluchtursachen bekämpfen möchte, muss dafür sorgen, dass internationale (Wirtschafts-)Kooperationen die Menschenrechte vor Ort niemals unterlaufen dürfen, sondern diese vielmehr fördern müssen. Beispielsweise sollten stets wirksame Beschwerdemechanismen sichergestellt werden, die Menschen nutzen können, wenn es in Folge von entwicklungspolitischen Maßnahmen oder wirtschaftlichen Kooperationen zu Konfliktfällen kommt – etwa wenn widerrechtlich Siedlungen für Bauprojekte geräumt werden. Aber auch privatwirtschaftliche Akteure und Unternehmen sind für ihre Verantwortung für weltweiten Menschenrechtsschutz stärker in die Pflicht zu nehmen, die Landespolitik sollte hierfür klare Regeln festlegen und diese durchsetzen.

Von der kommenden Landesregierung erwarten wir insbesondere im Hinblick auf die enge Beziehung des Freistaates zu Russland, dass nicht nur einseitig eine Aufhebung der Sanktionen gefordert wird, die Russland aufgrund der Besetzung der Krim verhängt wurden, sondern dass in bilateralen Gesprächen ebenso die Lage der Menschenrechte im Land thematisiert wird.

4. Innere Sicherheit

Die Sächsische Polizei hat als Exekutive die staatliche Gewalt inne und soll sowohl die öffentliche Sicherheit gewährleisten als auch die Rechte und Grundfreiheiten der Bürger_innen schützen. Als Träger des staatlichen Gewaltmonopols sollte ihr Handeln in besonderem Maße transparent und überprüfbar sein. Mit dem in diesem Jahr verabschiedeten Sächsischen Polizeigesetz wurden jedoch einseitig die Befugnisse der Polizei erhöht, ohne der Bevölkerung ausreichende Möglichkeiten zu geben, sich gegen rechtswidrige Eingriffe in ihre Privatsphäre und körperliche Freiheit zur Wehr zu setzen. Amnesty fordert deshalb die kommende Landesregierung auf, endlich eine individuelle Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamt_innen einzuführen. Diese ermöglicht, dass das Handeln der Polizei transparent gemacht wird und rechtswidrige Polizeimaßnahmen zuverlässiger ermittelt werden können. Auch für Polizeibeamt_innen würde dieses Instrument eine höhere Sicherheit bedeuten: Pauschale Vorwürfe gegen “die Polizei” als solche würden dadurch erschwert, und das Vertrauen der Gesellschaft in die Sicherheitskräfte kann erhalten werden.

Zugleich muss eine unabhängige Beschwerdestelle für Fälle rechtswidrigen Polizeihandelns gestärkt werden. Eine Beschwerdestelle innerhalb der Sächsischen Staatskanzlei, wie sie mit dem Polizeigesetz festgeschrieben wurde, kann dieser Unabhängigkeit nicht gerecht werden, da sie dort weiterhin der jeweiligen Landesregierung unterstellt ist. Ratsamer wäre eine Kopplung der Beschwerdestelle an den Sächsischen Landtag, wo sie dem gewählten Parlament Rechenschaft ablegen muss.

Es ist außerdem unabdinglich, dass die Sicherheitsbehörden verstärkter für rechte und rassistische Gewalt sensibilisiert werden, welche in den vergangenen Jahren besorgniserregende Maße in Sachsen angenommen haben. Werden Menschen aufgrund ihrer vermeintlichen Herkunft bedroht oder angegriffen, müssen diese Taten konsequent als rechte und rassistische Gewalt erkannt und erfasst werden. Ebenso muss ein stärkeres Augenmaß auf rassistische Äußerungen innerhalb der Polizei selbst gelegt werden. Menschenrechtsbildung und interkulturelle Sensibilisierungen müssen elementarer Baustein der Polizeiausbildung werden, um das Vertrauen der Gesellschaft in die Sicherheitskräfte zu erhalten und sicherzustellen, dass diese nicht selbst gegen jene Rechte verstoßen, zu deren Schutz sie einen Eid geschworen haben. Verbindungen von Polizeibeamt_innen in rechtsextreme Milieus müssen konsequent aufgeklärt und unterbunden werden.