PM: Der Koalitionsvertrag für Sachsen ist eine Chance zu einer menschenrechtsorientierten Landespolitik

Amnesty Kerze als Favicon

Genau zwei Monate nach der Landtagswahl in Sachsen wurde am vergangenen Sonntag (1.12.) der Koalitionsvertrag von CDU, Bündnis 90/Die Grünen und SPD veröffentlicht. Amnesty International bewertet ihn aus menschenrechtlicher Perspektive überwiegend positiv und hofft auf eine konsequente Umsetzung durch die „Kenia“-Parteien, um Rechtsstaat, Demokratie und unveräußerliche Menschenrechte zu stärken. Kritik gibt es im Bereich des Asylrechts.

DRESDEN, 03.12.2019 – Amnesty International begrüßt, dass der Koalitionsvertrag von CDU, Bündnis 90/Die Grünen und SPD in deutlichen Worten menschenfeindliche und antidemokratische Einstellungen als die größte gesellschaftliche Herausforderung für die Sächsische Politik beschreibt. Die Parteien möchten Rechtsextremismus wie auch Hass im Internet entschiedener bekämpfen, die Zivilgesellschaft stärken und für eine offene Gesellschaft eintreten. Wassily Nemitz, Sprecher von Amnesty International in Sachsen, zieht deshalb eine positive erste Bilanz: „Es ist höchste Zeit und die vielleicht letzte Chance für einen solchen Paradigmenwechsel. Viel zu lange wurden rassistische Umtriebe im Freistaat verharmlost, wurden die stetigen Warnrufe der Zivilgesellschaft als missliebige Kritik abgetan. Nur wenn Vereine und andere engagierte Akteure als Partner begriffen werden, wird es gelingen, menschenfeindliche Einstellungen in die Schranken zu weisen.“

Der Koalitionsvertrag sieht beispielsweise vor, sogenannte „Demokratieorte“ insbesondere in kleinen und mittelgroßen Städten aufzubauen, die von örtlichen Vereinen und Akteuren kostenfrei genutzt werden können. „Auch wenn abzuwarten bleibt, wie diese Einrichtungen ausgestaltet sein werden, ist dies ein wichtiges Zeichen des Respekts gegenüber der Zivilgesellschaft: Gerade im ländlichen Raum sind es diese vielen kleinen Initiativen, die sich Rassismus und Hass entgegenstemmen und dafür regelmäßig angefeindet werden“, so Nemitz.

Menschenrechtliche Forderungen sollen auch im Bereich der inneren Sicherheit umgesetzt werden. So soll eine anonymisierte Kennzeichnungspflicht für Polizistinnen und Polizisten in geschlossenen Einheiten eingeführt werden. In der Polizeiausbildung soll ein stärkerer Fokus auf Grundrechtsbildung und interkulturelle Trainings gelegt werden. Es ist wichtig, dass innerhalb dieser Trainings auch tatsächlich Rassismus thematisiert wird. Zu den bereits eingeführten Bodycams wird klargestellt, dass diese künftig immer zu aktivieren sind, wenn unmittelbarer Zwang durch die Polizei angewandt wird. „Kennzeichnungspflicht und menschenrechtssensible Polizeiausbildung, die von Amnesty auch bereits in den Sachverständigenanhörungen zur Polizeirechtsnovelle gefordert wurden, sind elementare Bausteine für transparentes und vertrauensbildendes Handeln der Sicherheitsbehörden. Auch bei der Bodycam ist es wichtig, dass sie nun auch dort Transparenz schafft, wo Bürgerinnen und Bürger womöglich von unverhältnismäßiger Polizeigewalt betroffen sind. Ihnen muss die Möglichkeit gegeben werden, unrechtmäßige Polizeimaßnahmen untersuchen zu lassen und Rechtsschutz zu erlangen“, sagt Nemitz und fügt hinzu: „Dies ändert jedoch nichts daran, dass wir gegenüber vielen der neugeschaffenen Polizeibefugnisse weiterhin menschenrechtliche Bedenken haben.“ Gegen das am 10. April verabschiedete Sächsische Polizeivollzugsdienstgesetz, das zahlreiche polizeiliche Befugnisse wie Aufenthaltsanordnungen bereits im Gefahrenvorfeld vorsieht, ist gegenwärtig eine Verfassungsbeschwerde anhängig.

Im Bereich des Asylrechts soll eine unabhängige Verfahrensberatung durch Wohlfahrtsverbände verstetigt werden, weiterhin will sich Sachsen mit mindestens 150 Plätzen am Resettlement-Programm des Bundes beteiligen. „Eine unabhängige Information über Rechte und Pflichten ist eine zentrale Verfahrensgarantie für Asylsuchende. Die Koalitionsparteien hätten hier jedoch noch deutlich mehr Spielräume für eine humane Asylpolitik gehabt, etwa die Neuauflage eines Landesaufnahmeprogramms für besonders Schutzbedürftige“, kritisiert Nemitz. Amnesty zeigt sich weiterhin enttäuscht darüber, dass es nicht möglich war, sich auf eine Aussetzung der Abschiebungen nach Afghanistan zu verständigen. Zwischen Juli und September sind nach UN-Angaben fast 1200 Menschen bei Anschlägen oder Gefechten getötet worden, mehr als 3100 wurden verletzt. Die Zahl ziviler Opfer hat damit den höchsten Stand innerhalb eines Quartals seit Beginn der systematischen Aufzeichnung durch die UN im Jahr 2009 erreicht.

Der vollständige Koalitionsvertrag kann auf den Homepages von CDU, Bündnis 90/Die Grünen und SPD eingesehen werden.