Der aktuelle Datenskandal beim Sächsischen Verfassungsschutz legt auf besorgniserregende Weise offen, wie die Behörde verfassungsgemäße Rechte verletzt, anstatt diese zu schützen. Um Vertrauen in die Institution wiederherzustellen, ist der Aufklärungswille einzelner Personen nicht ausreichend, vielmehr müssen Transparenz und parlamentarische Kontrolle dringend gestärkt werden.
Dresden, 24. Juni 2021 – Mit großer Sorge hat Amnesty International in Sachsen die Berichte über illegale Datenerfassung bei zahlreichen Mitgliedern des Sächsischen Landtages durch das Landesamt für Verfassungsschutz in Sachsen zur Kenntnis genommen. In den vergangenen Wochen wurde durch Medienberichte öffentlich, dass der Sächsische Verfassungsschutz widerrechtlich Informationen über Parlamentsabgeordnete, darunter der stellvertretende Ministerpräsident Martin Dulig (SPD) und der Fraktionsvorsitzende Rico Gebhardt (Die Linke), sowie Personen der Zivilgesellschaft erhoben hat. Anstatt seiner Aufgabe nachzukommen und menschenfeindliche sowie verfassungswidrige Bestrebungen frühzeitig zu erkennen, sammelte das Landesamt stattdessen unverfängliche Aussagen von Personen, die sich aktiv gegen Menschenfeindlichkeit positioniert haben.
Neben der klaren Rechtswidrigkeit dieser Praxis ist sie insbesondere auch ein Verstoß gegen fundamentale Menschenrechte, wie die in Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (Recht auf Achtung der Privatsphäre), Artikel 17 des UN-Zivilpaktes (Schutz des Privatlebens und Postgeheimnisses) sowie Artikel 1 Abs. 1 i.V.m. Artikel 2 Abs. 2 des Grundgesetzes (Unverletzlichkeit der Freiheit der Person) niedergelegt sind. Es ist ein positives Signal, dass die Parlamentarische Kontrollkommission (PKK) in ihrem „Nachbericht zum Abschlussbericht zur Sammlung und Speicherung von Abgeordnetendaten durch das Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen“ vom 07.06.2021 die bekanntgewordene Praxis aufgearbeitet hat. Der neue Verfassungsschutzpräsident Dirk-Martin Christian hat dieses Vorgehen seit seinem Amtsantritt 2020, wie es im Bericht heißt, „zu Tage gefördert“ (S. 11). Daraus ergibt sich die Erwartung, dass die offengelegten Probleme behoben werden und das Handeln des Landesamtes für Verfassungsschutz Sachsen zukünftig im Einklang mit der Sächsischen Verfassung, dem Grundgesetz und internationalen Menschenrechten steht.
Gleichzeitig bleibt es irritierend, wie der aktuelle Skandal seinen Weg in die Öffentlichkeit gefunden hat, insbesondere im Hinblick auf die Tatsache, dass dieses rechtswidrige Verhalten der eigenen Behörde offenkundig schon bekannt war. Eine solche Politik fehlender Transparenz untergräbt das Vertrauen deutscher Bürger_innen in ihre Behörden und öffentliche Institutionen noch weiter.
Insbesondere die Verfassungsschutzbehörden in Deutschland haben in den vergangenen Jahren immer wieder mit Skandalen auf sich aufmerksam gemacht. Das wiegt dadurch umso schwerer, dass gerade die Behörde, welche die verfassungsmäßige Grundordnung und den demokratischen Rechtsstaat schützen soll, die Selbigen so weitreichend gefährdet. Zudem zeigt dieser Skandal, wie abhängig mindestens der Sächsische Verfassungsschutz davon ist, dass einzelne Personen, wie der derzeitige Verfassungsschutzpräsident, an der Aufarbeitung rechtswidriger Praktiken in der eigenen Behörde interessiert sind. Für eine Behörde mit so weitreichenden Befugnissen und großer Verantwortung wie dem Verfassungsschutz ist das zu wenig.
Eingriffsbefugnisse von Sicherheitsbehörden in Grundrechte wie die Privatsphäre sind in engen Grenzen erlaubt, allerdings dürfen diese Eingriffsbefugnisse nicht missbraucht werden und der Verfassungsschutz muss über jeden Verdacht erhaben sein, selbst verfassungsfeindliche Haltungen zu unterstützen. Dafür braucht es ausreichende Kontrollmechanismen der Tätigkeiten des Verfassungsschutzes. Es müssen zusätzliche Instanzen geschaffen werden, die das Verhalten der Verfassungsschutzbehörden über das Interesse einzelner Personen hinaus kontrollieren. Hier sehen wir insbesondere eine Stärkung parlamentarischer Kontrolle als Lösung, wenn es zum Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel geht. Die Schaffung einer Fachstelle für die PKK wäre ein Schritt in die richtige Richtung, um mehr Transparenz und Kontrolle zu ermöglichen und das Vertrauen der Bürger_innen in den Verfassungsschutz zu stärken.